Helens Ehemann ging seinerzeit während einer Expedition im Dschungel verloren und nachdem die Behörden die Suche aufgegeben haben, engagiert sie mit ihrem Bruder zusammen den Haudegen Edward, der sie durchs Gestrüpp geleiten soll. Die Reise beweist sich jedoch als äußerst strapaziös, vor allem da ein fleischfressender Eingeborenenstamm den Besuchern gar nicht freundlich gesinnt ist.
Sergio Martino, der mit „the Case of the Scorpion's Tail“ und „the Strange Vice of Signora Wardh“ zwei der genialsten Gialli aller Zeiten kreierte, versucht sich mit „die Weiße Göttin der Kannibalen“ an dem damals überaus populären Kannibalenthema. 1978, also noch vor den ultrabrutalen Vertretern wie „Cannibal Holocaust“ und „Cannibal Ferox“, schicken die Italiener Bondgirl Ursula Andress in den Regenwald und sorgen für manch intensive Begegnung.
Wie gewohnt, fangen wir in der westlichen Welt an und bekommen ein wenig Exposition, die aber nicht viel Zeit in Anspruch nimmt. Das verquere Geschwisterpaar und der von Stacy Keach verkörperte Edward landen zügig in Neuguinea und kämpfen sich dort durch ein Sammelsurium an Klischee-Situationen. Das wirkt ausgesprochen ungrimmig und um einiges heiterer als man es von den obengenannten, durchweg provokanteren Titeln gewohnt ist. So kommt einem „Slave of the Cannibal God“ wie das Werk im englischen Alternativtitel heißt, über lange Zeit eher wie ein Abenteuerfilm vor, der über das gewisse Etwas verfügt, was den anderen fehlt.
Hierbei kommen einige Faktoren ins Spiel. Zunächst einmal ist Martinos Werk verdammt kurzweilig und konfrontiert den Zuschauer mit immer neuen Umständen, die auch allesamt gut bis sehr gut funktionieren. So lernen wir zum Beispiel eine Art religiöse Kommune kennen, schlagen uns mit hungrigen Krokodilen herum und erfahren, was den guten Edward des Nachts um den Schlaf bringt. Des Weiteren scheint das nötige Können und Geld in die Produktion geflossen zu sein, sodass ein hohes Maß an Professionalität vorliegt.
Gorehounds dürfen sich leider nicht auf menschenverachtendes Gemetzel ala „Cannibal Ferox“ einstellen, was aber nicht heißt, dass „die Weiße Göttin der Kannibalen“ blutarm ist. Über die ersten zwei Drittel gibt es einige kurze, actionlastige Gewaltszenen, die sich angenehm in das Gesamtgeschehen einfinden und ein wenig Futter für den Genrefan bieten. Das letzte Drittel dreht dann voll auf und präsentiert geballt und relativ schonungslos eine breite Palette an Kannibalenschmodder. Es wird ausgeweidet, gefressen, entmannt, orgiastischer Enthemmung gehuldigt und und und. Die Kannibalen selbst tragen coole Tonmasken mit einem hohen Wiedererkennungswert, aber darunter sehen sie 1 zu 1 aus wie die Schlingel aus „Lebending Gefressen“. Diese stilistische Umgewichtung vom Abenteuerfilm hin zum Proto-Kannibalenschocker ist vielleicht ein wenig befremdlich, funktioniert aber aufgrund der unbestreitbaren Qualitäten beider Seiten echt gut.
Fazit: „Die Weiße Göttin der Kannibalen“ fängt als grundsolider Abenteuerfilm an und wird gegen Ende zu einem sehr gelungenen Kannibalenfilm, der wohl als Wegbereiter für „Nackt und Zerfleischt“ und den beiden Lenzi Klassikern gewertet werden darf. Durchgehend immersiv und spaßig offenbart der Film gerade am Ende seine Stärken und kann sich problemlos von „gut“ zu „sehr gut“ mausern.
8 / 10