Familie Graham verarbeitet noch den Tod der Großmutter, als schon das nächste Drama passiert. Als ein medizinischer Notfall auftritt, baut Sohn Peter einen Autounfall, bei dem seine kleine Schwester Charlie den Kopf verliert. Als Mutter Annie sich vor lauter Frust dem Okkultismus zuwendet, wird schnell klar, dass hinter den vielen Tragödien ein erschreckender Plan steht.
Regisseur Ari Aster, der neben dem hier zu besprechenden „Hereditary“ ebenso für „Midsommar“ verantwortlich ist, konnte sich mit seinem Erstlingswerk direkt als neue Hoffnung für den intelligenten Horrorfilm etablieren. Auch wenn man schon oft hat miterleben müssen, dass so mancher Hype ungerechtfertigt sein kann, hat man hier ganz klar Recht behalten: „Hereditary“ ist eine absolute Wucht und gehört zu den stärksten Beiträgen der letzten Jahre.
An sich präsentiert Aster die gesamte Zeit über eine intensive Darstellung von Trauer und Terror in Reinform. Die Handlung spielt zwar stark ins Okkulte hinein, bleibt aber durchgehend frisch und unvorhersehbar und wird somit nie zu einem generischen Spukhausfilm oder Ähnlichem. Vielmehr steht hier die Familie mit ihren immensen Problemen im Vordergrund, die im Laufe der Zeit immer extremer werden. Nach dem grauenvollen Tod der kleinen Charlie strotzen die Dialoge vor Gift und Galle, doch merkt man immer, dass unter dem Hass Verzweiflung und Hilflosigkeit verborgen liegen. Das hat man selten in einem vergleichbaren Werk so gefühlvoll und sicher auf Film gebannt – grandios!
Stellenweise drängt sich die Vermutung auf, die übernatürliche Komponente sei nichts anderes als eine Art Symbolik für die Traumaerfahrungen der Familie, doch dies ist Gott sei Dank nicht der Fall. „Hereditary“ erzählt eine wirklich grausige Geschichte von dämonischer Besessenheit, die bis ins kleinste Detail ausgearbeitet wurde und um einiges gehaltvoller wirkt, als man es von den Genrekollegen kennt. Die Handlung entfaltet sich zwar langsam, kann einen aber so fest in seinen Bann ziehen, dass man mit absoluter Sicherheit mitfiebern wird. Wer mit der Thematik etwas anfangen kann, wird auch feststellen, dass man sich hier auf Praktiken und Konzepte bezieht, die um einiges ernsthafter wirken als es normalerweise der Fall ist, was das Gefühl von unangenehmer Befremdlichkeit noch zusätzlich bestärkt.
Als normaler Schocker funktioniert Asters Erstwerk natürlich auch, aber die wahrlich wichtigen Nuancen lassen sich erst nach mehrmaligen Sichtungen erkennen. Der geniale Subtext rund um Schicksal und Selbstbestimmung, das generationenübergreifende Erbe von Bösartigkeit und Trauer und die dämonischen Praktiken, die dem zu Grunde liegen, sind minutiös geplant und perfekt orchestriert. Laut Macher sollte der Zuschauer zusammen mit den Charakteren zur Schlachtbank geführt werden und genau dieses Gefühl macht sich immer weiter breit. Ausnahmslos alles wirkt perfekt arrangiert und steuert auf ein fulminantes, erschütterndes Ende hin, doch auch der Weg dorthin ist gespickt mit unfassbar emotionalen Szenen und ebenso gelungener Charakterzeichnung. Die Geschichte um den Kult weckt wohlige Erinnerungen an „Rosemary's Baby“ und besonders unangenehm sticht die Großmutter heraus, die noch nach ihrem Tod als absolute Unholdin zutage tritt.
Fazit: „Hereditary“ ist ein absolutes Meisterwerk, das auf ganzer Linie überzeugt und zum Innovativsten und Erschreckendsten gehört, das einem die jüngere Vergangenheit beschert hat. Aster hat sich hier als wahrer Visionär entpuppt, der alle Register zieht und erschütterndes Familiendrama mit knochenhartem Dämonenhorror vermischt, ohne dass einer der beiden Seiten zurückstecken muss. Spätestens wenn das Ende kommt, das dem Geschehen wortwörtlich die Krone aufsetzt, gibt es keinen Zweifel, dass hier die Höchstwertung vergeben werden muss.
10/10